Physik für Straßenkinder
Bericht zum Aufenthalt in Medellin 10.08.03
bis 24.08.03
von Elmar Breuer und Manuela Welzel
Am Sonntag, den 10.08.03 trafen wir gegen Abend
erwartungsfroh auf Medellins Flughafen in Rio Negro ein. Wie schon
in den Jahren zuvor, wurden wir vom Flughafen abgeholt und von unserer
Gastfamilie herzlich aufgenommen. Unsere Koffer kamen zwei Tage
später an.
Nach einer kurzen Besprechung mit Sor Sara, der
Schulleiterin der Escuela Normal Superior in Copacabana am Montag,
nahmen wir unsere eigentliche Arbeit am Dienstag, den 12.08.03,
auf. Wir hatten uns verschiedene Dinge vorgenommen: Zunächst
wollten wir mit einer Studentinnengruppe an der Escuela Normal Superior
einen erlebnis- und experimentorientierten Physikunterricht durchführen,
und dann sollten die Studentinnen verschiedene Unterrichtssequenzen
im Patio mit Straßenkindern selbst unterrichten. Der Unterricht
der Mädchen sollte diese zum einen befähigen, selbständig
handlungsorientierten Physikunterricht mit Straßenkindern
planen zu können. Zum anderen sollte eine interaktive Ausstellung
mit physikalischen Experimenten für die Besucher des diesjährigen
ASONEN - Kongresses, der am Ende unseres Besuchs an der Escuela
Normal Superior stattfinden sollte, realisiert werden.
Unterricht an der Escuela Normal Superior
Die uns zugewiesene Gruppe bestand aus 21 Schülerinnen der
10. Klasse und aus vier Studentinnen des "Ciclo Complementario"
(1. Studienjahr im Grundstudium der Primarstufenlehrerinnen). Die
Mädchen aus dem 10. Jahrgang hatten erst im laufenden Schuljahr
mit dem Physikunterricht begonnen, und zwar in Mechanik. Unser Unterricht
im Bereich der elektrischen Stromkreise und der Optik war für
sie also absolutes Neuland. Die vier Studentinnen kannten bereits
den Materialkoffer und einen Teil der Experimente aus dem letzten
Jahr. Für uns war etwas überraschend, dass unter den Schülerinnen
nur sehr wenige waren, die bereits Deutschunterricht hatten. Da
jedoch alle ein Interesse daran bekundeten, Deutsch zu lernen, haben
wir in unserem Unterrichtsgang immer wieder darauf geachtet, den
Schülerinnen wenigstens die wichtigsten physikalischen Begriffe
und Beschreibungen auch auf Deutsch zu nennen und sie zum Üben
der Begriffe anzuregen. Die Kommunikation musste jedoch zwangsläufig
fast vollständig in Spanisch erfolgen. Das heißt, wir
selbst konnten unsere eigenen wenigen Spanischkenntnisse gut anwenden,
trainieren und weiterentwickeln.
Alle Teilnehmerinnen waren sehr gespannt auf unseren
immer am Nachmittag stattfindenden Kurs und über den ganzen
Unterrichtsverlauf sehr motiviert dabei, sowohl beim Durchführen
von Experimenten als auch beim Suchen nach Erklärungen für
die beobachteten Phänomene. Immer wieder fragten sie, um die
Zusammenhänge besser zu verstehen, und lasen in Büchern
nach, die wir zur Verfügung gestellt hatten.
Foto 1: Experimente mit Elektromagneten
Foto 2: Vielleicht hilft uns das Buch weiter?
Das Spektrum, das die Schülerinnen bis zum
19.08.03 bearbeitet haben, reichte von einfachen Stromkreisen über
Reihen- und Parallelschaltungen (auch Einsatz des Multimeters),
Schalterkombinationen, magnetische Wirkung das Stroms mit Bau eines
Elektromagneten, der Untersuchung von Stoffen auf ihre Leitfähigkeit
(insbesondere Wasser/Salzwasser), die Beschäftigung mit dem
Verhalten von wärme- und lichtempfindlichen Widerständen
bis hin zu einigen Optikexperimenten.
Foto 3: Optik-Experimentiermaterial wird gesichtet
Die Optikexperimente kamen in der Schlussphase
zur Bereicherung des Angebots bei der Ausstellung während des
bevorstehenden Kongresses hinzu. Wir haben den Studentinnen vermittelt,
dass uns das Arbeiten mit Lernstationen besonders für Straßenkinder
geeignet zu sein scheint, da es diesen nach unseren Erfahrungen
schwer fällt, sich in frontalen Unterrichtsphasen zu konzentrieren,
dass sie sich dagegen jedoch um so lieber mit interessanten experimentellen
Aufgaben auseinandersetzen. So konnten die Teilnehmerinnen selbst
einige Lernstationen zu verschiedenen physikalischen Fragestellungen
erarbeiten.
Unterricht im Patio 13 und in der Ciudad
Don Bosco
Da der Patio gerade renoviert wurde und aus diesem Grunde für
diese Zeit geschlossen war, hielten sich einige der Straßenkinder,
die zu den regelmäßigen Besuchern gehören, derzeit
in einer Einrichtung auf, die "Albergue" genannt wird.
Die Albergue ist eine dem Patio nachgeschaltete Einrichtung, in
der es nun auch Übernachtungsmöglichkeiten für diejenigen
Straßenkinder gibt, die bisher regelmäßig über
sechs Wochen in den Patio gekommen waren. Außerdem wird auch
hier das tägliche Bildungsangebot weitergeführt. Bei einem
Erkundungsbesuch vereinbarten wir, dort zu unterrichten und darüber
hinaus auch einmal Unterricht für Schüler der "Ciudad
Don Bosco" anzubieten. In der Ciudad Don Bosco leben ehemalige
Straßenkinder in bereits stabilen Verhältnissen mit regulärer
Schulbildung bzw. Berufsausbildung.
Bei unserem nächsten Besuch in der Albergue
haben 10-12 Jungen ungefähr eine Stunde mit uns zum Thema "elektrische
Stromkreise" gearbeitet. Drei der Jungen waren schon vorher
einmal von Studentinnen der Escuela Normal Superior zu diesem Thema
unterricht worden. Nach der Benennung der Experimentiermaterialien
wurde erst eine Lampe mit, dann ohne Kabel zum Glühen gebracht.
Danach wurden Stromkreise mit mehreren Lämpchen erfunden. Die
Jungen entdeckten die Reihen- und Parallelschaltung und fügten
später sogar noch Schalter ein. Die Jungen sichteten und benannten
mit uns die mitgebrachten Experimentiermaterialien zunächst
ruhig im Kreis. In der sich anschließenden Experimentierphase
wurde sehr konzentriert und kreativ mit dem angebotenen Material
umgegangen, ab und zu unterbrochen von neuen Aufgabenstellungen
unsererseits.
Foto 4: Die Lampe leuchtet
Bei einer weiteren Gelegenheit unterrichteten vier
Studentinnen der Escuela Normal Superior mit unserer Unterstützung
eine Gruppe von etwa 20 Jungen in der Albergue. Die Thematik - magnetische
Wirkungen des elektrischen Stroms/Bau und Erprobung eines Elektromagneten
- war zuvor mit uns erarbeitet worden. Die Durchführung einer
Frontalphase zu Beginn der Stunde gestaltete sich für die Mädchen
als sehr schwierig, da die Jungen sehr unruhig waren und immer wieder
welche den Raum verließen oder neu hinzukamen.
Foto 5: Kolumbianische Studentinnen unterrichten
Straßenkinder
Die anschließende längere Experimentierphase
war jedoch ein voller Erfolg. Wie schon beim Unterricht zu elektrischen
Stromkreisen wurde mit Begeisterung gebastelt und erprobt.
Foto 6: Der Elektromagnet funktioniert
Schließlich wiederholten wir unseren Unterricht
zu elektrischen Stromkreisen- diesmal unterstützt durch eine
Studentin der Escuela Normal Superior - mit einer Gruppe von etwa
10 Jungen in der Ciudad Don Bosco. Auch hier kam das Unterrichtskonzept
sehr gut an. Die Experimentierfreude war wie gewohnt, darüber
hinaus konnten in dieser Gruppe bereits in Ruhe Theorieansätze
diskutiert werden.
Interaktive Ausstellung auf dem ASONEN-Kongress
Parallel zu unserem Aufenthalt fand in der Escuela Normal Superior
der ASONEN-Kongress statt - ein Kongress, zu dem Vertreter sämtlicher
Schulen gleichen Typs (136 in ganz Kolumbien) eingeladen waren.
Insgesamt nahmen ungefähr 200 Schüler und Lehrer aus Schulen
des ganzen Landes teil.
Mit unserer Mädchengruppe haben wir in der letzten Phase 15
interaktive Lernstationen mit Experimenten zur Elektrizitätslehre
und zur Optik entwickelt. Diese wurden auf dem ASONEN-Kongress unter
der Betreuung der Mädchen angeboten. Dazu haben sie selbst
Arbeitsaufträge formuliert, auf Plakaten festgehalten und überlegt,
wie sie die Kongressteilnehmer zum Experimentieren anregen können.
Diese Art Lernumgebungen zu planen, war für sie neu und sehr
spannend.
Fotos 7, 8: Lernstationen auf dem ASONEN-Kongress
Die Ausstellung stieß auf sehr großes
Interesse bei den Kongressteilnehmern - und zwar sowohl bei Schülern
als auch bei Lehrern. Auf den Fotos ist deutlich zu sehen, wie aktiv
alle waren - unsere Kursteilnehmerinnen und die Kongressteilnehmer.
Die Stationen wurden regelrecht belagert. Kaum jemand konnte sich
den Experimentierangeboten entziehen. Immer wieder wurden Anfragen
nach der Herkunft der Materialien und nach einer Dokumentation der
vorbereiteten Experimente gestellt. Die Teilnehmerinnen unseres
Kurses waren am Ende des Tages selbst begeistert. Zudem haben sie
mit den vorbereiteten Lernstationen nun für viele Wochen Unterrichtsmaterial
für den Patio.
Rahmenprogramm
Unseren Gastgebern war es wie schon in den Jahren zuvor ein Anliegen,
uns auch die landschaftlichen und kulturellen Schönheiten ihres
Landes nahe zu bringen. Auf dem Programm stand diesmal ein Wochenendausflug
in ein Kaffee-Anbaugebiet Kolumbiens, die "Zona Cafetera"
mit Übernachtung in einer für die Gegend typischen "Finca".
Ein weiterer Tagesausflug führte durch imposante Andenlandschaften
in die ländlichen Städte Andes, Jardin und Jerico.
Foto 9: Eine Straße in Andes
Fotos 10 und 11: Ortsansichten Andes
Unsere Reise nach Kolumbien wurde finanziell von
der Pädagogischen Hochschule Heidelberg unterstützt. Wir
danken für die Bereitstellung von Unterrichtsmaterial und Reisekostenzuschüsse.
(Heidelberg, im September 2003)
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