Zusammenfassende Beurteilung des
Auslandsaufenthaltes in Kolumbien
Ein Bericht von Ulrike Spieler (Mai
2003)
Einen ausführlichen Bericht von Ulrike Spieler gibt es hier
als PDF:
Im Patio - von Medellín
und seinen ungewollten Kindern
a) Allgemeine Eindrücke
Mein Praktikumsland Kolumbien hatte ich schon einige
Male besucht und wusste daher, dass es ein spannendes Land ist,
das viel mehr zu bieten hat als seine Klischees hergeben. Doch bis
dato hatte ich es nur bereist, es mir sozusagen geografisch erobert.
Dieses Mal hingegen sollte ich viel tiefer in gesellschaftliche
und soziale Zusammenhänge eindringen können. Ich habe
zwar im räumlichen Sinn vergleichsweise wenig gesehen. Mein
fester Standpunkt war ja Medellín. Ich war ans kolumbianische
Arbeitsleben angebunden. So konnte ich das Leben um mich herum viel
genauer und eingehender betrachten. Doch ganz besonders, da die
deutschen PraktikantInnen immer bei Familien untergebracht sind.
Ich persönlich kam in den Genuss, bei drei unterschiedlichen
Familien wohnen zu können. Dadurch war ich genau an der Peripherie,
habe den kolumbianischen Alltag (und die Sorgen, die er Kolumbianern
bereitet), familiäres Zusammensein in Kolumbien mitbekommen.
(Obgleich es für mich als eine ganz andere Intimsphären
und eine gewisse Unabhängigkeit gewohnte Europäerin nicht
immer einfach war.) Insgesamt habe ich mein Praktikum in Kolumbien
nicht nur in fachlicher Hinsicht als gewinnbringend erlebt. Es war
eine interessante und lohnende Erfahrung.
b) Inhaltliche Gestaltung des Praktikums
An das Phänomen und die Problematik Straßenkind
habe ich mich zu Beginn meines Praktikums herangetastet, indem ich
mehrere Institutionen in Medellín besuchte, die sich um Straßenkinder
kümmern. Nach anfänglichen organisatorischen Schwierigkeiten
konnte ich an festen Tagen in den "Patio Don Bosco" gehen,
die kooperierende Einrichtung des Projekts "Patio 13 - Schule
für Straßenkinder", bei dem ich mein Auslandspraktikum
absolvierte. Im Patio hatte ich die Möglichkeit, Kontakt mit
Straßenkindern aufzunehmen und so Einblick in deren Leben
und deren Glaubensvorstellungen gewinnen zu können. Ich habe
an ihrem Alltag im Patio teilgehabt, konnte mich ihnen annähern
durch Unterhaltungen, Spiele, manchmal ganz einfach nur dadurch,
als weibliches Wesen zum anlehnen und anschmiegen dazusein. (Sicher
gelangte mir mein "Exotenstatus" auch ein wenig zum Vorteil.)
Wenn es die Zeit und die Umstände erlaubten, konnte ich auch
mit Straßenkindern in der Stadt, außerinstitutionell,
arbeiten. Gespräche mit leitenden Mitarbeitern des Projekts
halfen mir, mich an die Straßenkinder und ihren Glauben heranzuführen.
So etwa mit Sor Sara Sierra, die schon viele Jahre in Medellíner
Slums mit Straßenkindern gearbeitet hat und entscheidend am
Aufbau des Projekts beteiligt war. Wenn ich nicht zur teilnehmenden
Beobachtung im Patio oder anderen Einrichtungen war, habe ich in
den Bibliotheken vor Ort einschlägige Literatur zum Thema Straßenkinder
und Straßenkultur sowie zu Religion und Glauben in Kolumbien
gesichtet und gelesen oder mich auf den aktuell-politischen Stand
gebracht. Letzteres war wichtig, da gerade durch die momentane politische
Lage immer mehr Kinder auf der Straße landen, die nicht auf
dem "klassischen" Weg da hinkamen. Des weiteren habe ich
mit angehenden Lehrerinnen gesprochen, die ihr Studienpraktikum
(ein insgesamt sechsmonatiges, meist soziales Praktikum, zu dem
in Kolumbien Studenten aller Fachrichtungen verpflichtet sind) im
Rahmen des Projekts machen. Sie sammeln so Erfahrungen im Pilotstudienfach
"Straßenpädagogik", dessen feste Einrichtung
an pädagogischen Instituten Ziel des Projekts ist. Mit ihren
Erkenntnissen waren sie mir hilfreiche Begleiterinnen.
c) Kritik und Empfehlungen
Normalerweise kommen die PraktikantInnen des Projekts
"Patio 13" bzw. der "Escuela Normal Superior María
Auxiliadora" (ein Kolleg mit Schwerpunkt Lehrerbildung) von
der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Ich als angehende
Kulturwissenschaftlerin fiel da ein wenig aus dem Rahmen. Ich war
die erste Nicht-Lehramtsstudentin, die sich hierher als Praktikantin
verlaufen hat.
Mit künftigen Pädagogen haben die Projektmitarbeiter Erfahrung.
Sie machen an der Schule und im Patio Lehrpraktika und werden dafür
festen Tutoren (Lehrer ihres jeweiligen Fachs) sowie Klassen oder
Unterrichtsstunden zugeteilt. Doch ich fühlte mich manchmal
etwas allein gelassen und verloren mit meinem Thema. In pädagogischer
und didaktischer Hinsicht völlig unbeleckt, hatte ich anfänglich
ziemliche Schwierigkeiten. So wusste ich etwa nicht, wie man sich
gerade Problemkindern annähern kann. Feldforschung kenne ich
kaum aus der Theorie, schon gar nicht aus der Praxis. Auch konnte
ich mein Thema "Religion bei Straßenkindern" zwar
aus kulturwissenschaftlicher Sicht gut eingrenzen. Doch sollte die
Arbeit ja sein, um dem Pilotstudiengang "Straßenpädagogik"
wenigstens einen Taufschuh anzuziehen. Was ist aus diesem Blickwinkel
also interessant? Alles in allem brauchte ich viel zu viel Zeit,
um in die Thematik, in die Arbeit etc. hereinzukommen. Zeit, die
ich sicher um einiges produktiver hätte nutzen können,
wenn ich seitens meiner Betreuer anders geleitet worden wäre,
mal in eine Richtung gestoßen worden wäre. Oder wenn
ich genau wie die deutschen PädagogikstudentInnen einen stetigen
Tutor gehabt hätte. So bin ich relativ lange durch mein Thema
geirrt, ohne einen festen Punkt zu finden. Schade. Dadurch war die
ohnehin viel zu kurze Praktikumszeit noch viel knapper.
Was ich auf jeden Fall selbstkritisch empfehlen muss: Man sollte
sich - auch wenn die Vorbereitungszeit wie bei mir aufgrund der
äußerst kurzfristigen Entscheidung, beim "Patio
13" ein Praktikum zu machen, sehr knapp ist (ich habe mich
erst einen Monat vor Beginn dafür entschieden) - vorher schon
mit der die Arbeit entsprechenden Thematik etwas eingehender auseinander
zusetzen versuchen. Gerade, wenn man nach Südamerika geht,
wo die Organisationsstrukturen ganz andere sind, zumal für
Europäer mehr als einmal nervenaufreibende, ist es dringend
empfohlen, sich selbst einen wirklich gut strukturierten Arbeitsplan
zurechtzulegen. Was will ich, wie will ich das erreichen, in welcher
Zeit. Dieser Plan wird zwar ohnehin durch die Umstände über
den Haufen geworfen. Doch zumindest hat man so für sich selber
immer wieder greifbare Anhaltspunkte, an denen man anknüpfen
kann, wenn - wie in Südamerika fast üblich - mal wieder
etwas nicht klappt wie angedacht. Oder man wie ich anfänglich
sich ziemlich hilflos wiederfindet und niemand einem so recht sagen
kann, in welche Richtung man am besten gehen sollte.
|