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Abschlussbericht

Ein Bericht von Malte Ottenhausen (Juni 2004)

(Abschlussbericht hier mit Fotos als PDF)

Einleitung

„Na, wie war´s?" Das ist oft der erste Satz, den ich von Freunden, Kommilitonen und Verwandten höre. Was sage ich ihnen? „Cool, aufregend, interessant, anders, spannend“? Das Erlebte lässt sich nicht in wenige Worte pressen, genauso wenig auf ein Blatt Papier, und je mehr Worte ich darüber verliere, desto schneller reduziere ich es, entferne mich von der Realität. Man muss selbst erleben, wie aus dem Miteinander von Alltäglichem und Außergewöhnlichem jenes Gefühl entsteht, das ich immer dann spüre, wenn ich an Kolumbien zurückdenke. Was das Land für mich bedeutet, ist ganz konkret. Kurze Augenblicke, unbeschreibliche Momente, Dinge die ihre Magie verlieren, sobald man sie berichtet. Es erstaunt mich, wie sehr sich dieses innere Bild von dem unterscheidet, das ich vor meinem Aufenthalt hatte und jedes Mal wieder heraufbeschwöre, wenn ich über dieses Land spreche.


Medellín

Am 13 Februar hatte ich mich auf den Weg gemacht, etwa dreißig Stunden später, am Abend des 15., landete mein Flieger am Río Negro in Medellín. Victor erwartete mich bereits. Die einstündige Fahrt durch die nächtlichen Berge verstärkte die ersten Eindrücke aus Bogota, zudem war ich sehr müde und hatte etwas Probleme mit dem kolumbianischen Akzent. Wir passierten einige Militärposten, und immer wieder tauchten am Straßenrand Gestalten auf; Victor drückte den Türknopf herunter.

Wir kamen aus den Bergen in die Stadt, alles wirkte fremd und feindselig, die Dunkelheit rückte die für mich ungewohnten Bilder ins Bedrohliche. Selbst Copacabana schien mir an diesem Abend wenig einladend.

Es war ein Samstag, und überall auf den Straßen sammelten sich die Menschen, tranken und hörten Musik. Wir hielten vor einem Haus oberhalb der Stadt, und erschöpft begrüßte ich die Familie, bei der ich die kommenden zwei Monate wohnen sollte. Nach kurzem Gespräch ging ich auf mein Zimmer und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen wurde ich von Victor abgeholt, ich war sehr gespannt, denn ich sollte nun zum ersten Mal etwas über meine Arbeit erfahren.

Meine Erwartungen wurden in jeder Beziehung übertroffen. Die Normal liegt wunderschön in den Bergen über der Stadt, die Sonne schien, und bei meinem ersten Treffen mit Sor Sara überreichte sie mir einen Plan für die kommenden zwei Wochen, der über meinen Unterricht hinaus auch noch Besichtigungen verschiedener Institutionen und Stadteile vorsah. Ich wurde in der Schule herumgeführt, und nach einer kleinen Mahlzeit hatte ich dann wenig später meine erste Unterrichtsstunde.

Die Tage vergehen wie im Flug, wir besuchen Elendsviertel und Schulen, Kindergärten und Rehabilitationszentren, Krankenhäuser und Jugendzentren. Ich erfahre viel über die Arbeit von Nonnen und Erziehern, sehe die Auswirkungen der politischen Lage. Den Morgen verbringe ich meistens mit den Kindern in der Albergue, gegen 14 Uhr bin ich dann wieder in der Normal zum Unterricht. Abends sitze ich häufig vor dem Haus und blicke auf die Stadt, unterhalte mich mit den Nachbarn oder spiele Fußball mit ein paar Jungen aus der Gegend. Besonders in den ersten Wochen treffe ich mich auch häufig mit andern zum Billardspielen oder auf ein Bier im Parque (Zentrum) von Copacabana.

Das Haus, in dem ich wohne, liegt in Copacabana, einem Vorort von Medellín. Die Stadt Medellín selbst hat über zwei Millionen Einwohner und ist damit eine der größten Städte Kolumbiens. Sie ist die Hauptstadt des Departamentos Antioquia und liegt in 1500 Meter Höhe in einem Talkessel. Der Bundesstaat Antioquia besteht aus Bergen und dschungelähnlichen Landschaften, was bewaffneten Kämpfern optimale Operationsmöglichkeiten bietet und dem Gebiet den traurigen Ruf beschert hat, der gefährlichste Teil Kolumbiens zu sein. Auseinandersetzungen mit der Guerilla und den Paramilitärs sowie der jahrelange Drogenkrieg des berühmten Pablo Escobar haben die Stadt gezeichnet. Fährt man mit dem Bus von Copacabana in die Stadt, so dominieren die Comunas, die sich beiderseits der Straße die Berge hinauf ziehen.

Auf der anderen Seite der Stadt, in Poblado und Itagui, zeigt sich ein anderes Bild, hier stehen Hochhäuser, und die Einwohner fahren teure Jeeps und Pickups statt der üblichen weißen Chevrolets. Medellín, das ist auch die Stadt des ewigen Frühlings, Temperaturen von durchschnittlich 25 Grad während des ganzen Jahres prägen Temperament und Lebensstil der Einwohner.


Medizinkurs für die Studentinnen der Escuela Normal

Mein erstes Treffen mit den Studentinnen war sehr angenehm, und das erleichterte mich sehr. Ich hatte bereits vor der Reise die Themen strukturiert und wollte, dass die Studentinnen ein möglichst fundiertes Basiswissen erwerben, welches ihnen später bei der Arbeit in der medizinischen Station von Nutzen ist.

Nachdem wir die verschiedenen Themengebiete diskutiert hatten, entschlossen wir uns zu folgender Gliederung:

1. Die Zelle (und weitere Grundlagen wie Enzyme, Hormone...)

2. Anatomie (vor allem Organe - Aufgaben, Funktion und Lokalisation)

3. Immunsystem (als Grundlage für das Verständnis von Krankheiten wie z.B. Aids)

4. Metabolismus (Ernährung und Stoffwechsel)

5. Krankheiten (mit besonderem Gewicht auf Sexualkrankheiten)

6. Erste Hilfe

7. Drogen

Da meine Sprachkenntnisse für einen längeren Vortrag unzureichend gewesen wären, hatte ich die Idee, die Themengebiete referatartig von den Studentinnen vorbereiten zu lassen. Ich war in dieser Hinsicht auf die Studentinnen angewiesen und fragte mich anfangs, ob sie wohl zustimmen würden, schließlich bedeutete das viel Aufwand für sie.

Sie waren jedoch sofort einverstanden und arbeiteten immer sehr gewissenhaft. Ich unterhielt mich am Anfang der Stunde mit den Studentinnen, um mir einen Eindruck von ihrem Wissensstand zu verschaffen. Danach legten wir die Schwerpunkte des Referats, eine Art roten Faden, fest, und zur nächsten Stunde bereiteten dann immer zwei Studentinnen einen Vortrag vor. Schon das erste Referat hat mich umgehauen. Eine flüssig vorgetragene, gut strukturierte Präsentation mit Power-Point-Unterstützung und Handout. In den nächsten Wochen entwickelte sich so eine interessante Zusammenarbeit, und nicht selten entstand daraus die eine oder andere praktikable Idee, die dann sogleich in der Albergue mit den Kids praktisch umgesetzt wurde.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Studentinnen loben. Ohne ihre Motivation und ihr Engagement wäre dieser Kurs nicht möglich gewesen.

Immer donnerstags kamen die Studentinnen für zwei Stunden in die Albergue, um dort mit den Kindern erste Kontakte zu knüpfen.

Professor Fredy Villa (Anthropologe) begleitet das Projekt. Er spricht mit den Studentinnen über ihre Erfahrungen und Gedanken und leistet somit einen wichtigen Beitrag Beobachtungen zu konkretisieren und Ideen weiter zu entwickeln bzw. zu präsentieren. Gingen wir mit Fredy in eine der Comunas, so wusste er meist allerhand Wissenswertes zu berichten und lenkte unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf Details, die wir in der Flut der Eindrücke bestimmt übersehen hätten.

Wir (die Studentinnen und ich) trafen uns immer von Dienstag bis Freitag von 14.00 - 16.00 Uhr und donnerstags in der Albergue. Obwohl am Ende leider die Zeit fehlte, war der Kurs ein voller Erfolg und für beide Seiten sehr bereichernd.


Der menschliche Körper - ein Kurs für die Straßenkinder im Patio

Beim Spielen, beim Kämpfen sieht man: Straßenkinder haben eine andere Beziehung zu ihrem Körper als wir. Sie schonen ihn weniger, setzen ihre Gesundheit und sogar ihr Leben leichtsinnig aufs Spiel. Die ganz alltäglichen Unfälle, die vielen Narben an Schienbeinen und Armen zeigen dies nur allzu deutlich.

Als ich John, einem 15 jährigen Jungen, die Hand verbinde, er hatte sich bei einem Unfall den kleinen Finger zur Hälfte abgerissen, bewundere ich seine Gelassenheit. Er bedankt sich und geht. Jorge, dessen Wunde am Knie sich immer weiter öffnet, bereits vollständig entzündet ist und eitert, nimmt seinen Verband ab und spielt Fußball.

Es fehlt ihnen an Weitsichtigkeit. In seinem Buch schreibt Professor Weber, den Kinder fehle in gewisser Weise "ein zeitliches Vorstellungsvermögen". Das Leben auf der Straße, die ständige Gefahr und der Überlebenskampf verhindert, dass sie den Körper für die Zukunft schonen, darin sehen sie keinen Sinn.

Meine Idee ist es, den Kindern die Komplexität des menschlichen Körper und damit seinen Wert zu verdeutlichen. Die humanbiologischen Themen können an vielen Stellen mit dem normalen Unterricht verknüpft werden. Es würde den Jungs nicht nur helfen, im Alltag gesundheitsbewusster zu leben, sondern sie vielleicht auch dazu bringen, ihren Körper etwas zu schonen.

Sicherlich verändert man so nicht ohne weiteres eine durch jahrelange Notwendigkeit geprägte Einstellung, aber einen Versuch ist es immer Wert.

Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als Wilson helfend einspringt, als ich einem anderen Jungen verbiete, sich den Schorf abzukratzen: „Da sterben doch die Zellen, nicht wahr?" Der Kleine hört sofort auf zu kratzen.


Erste Hilfe

In der Albergue hatte ich keine festen Arbeitszeiten, ich war einfach da, redete und spielte mit den Jungen, und ab und zu kam dann einer von ihnen mit einer Blase am Fuß oder einer Platzwunde. Einige hatten auch schwerwiegendere Verletzungen, abgetrennte Finger oder Schnittwunden. Jorge wurde im Schlaf mit einer Machete angegriffen. Die Wunden reichten bis auf den Knochen und waren nur notdürftig zugenäht. Antibiotika oder Nachbehandlungen gibt es für Straßenkinder nicht. Ich habe Jorge dann jeden Tag neu verbunden. Manchmal hat mir einer der Jungen dabei geholfen.

Mehr als der Verband am großen Zeh zählt die Geste der Zuwendung. In den Anamnesegesprächen, die ich immer wieder führte, erfuhr ich viel über den Alltag der Kinder.

Die Behandlung kleinster Verletzungen wie Blasen ist sicherlich nicht lebenswichtig, aber sie ist Teil der Kommunikation. Der Körper ist wertvoll, selbst die kleinste Wunde ist es wert, behandelt zu werden!


Fußball

„Futbolista" will er werden, sagt Juan Carlos lachend, als ich ihn nach seinem größten Traum frage. Die Glücklichen unter den Jungen spielen, so wie Oskar, in einer Mannschaft.

Für sie ist das viel mehr als ein Spiel. Viele Menschen glauben, Straßenkinder seien nichts wert, und sie zeigen es ihnen auch durch Blicke und Worte. Beim Fußball können sie allen das Gegenteil beweisen. Wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft die Jungen nur mit einem Schuh bekleidet oder barfuss den Ball spielen, ahnt man etwas von ihrer Kraft, die sonst meist verborgen bleibt.

So etwas wie Fußball bräuchte man in der Pädagogik, etwas was die Aufmerksamkeit der Kids fesselt, jeden Tag wieder. Ich saß eines Tages mit Juan Carlos in der Albergue. Ihm sei langweilig, sagte er, er möchte Fußball spielen, in einem Verein und nicht nur immer nur gegen die anderen aus der Albergue.

Wir beschlossen, das zu ändern. Juan Carlos hat schnell 15 Namen zusammengeschrieben, ich habe mit Mauricio und Sor Sara gesprochen, und schon am nächsten Donnerstag hatten wir unser erstes Spiel.

Zu sehen, wie die Jungen sich auf das Spiel freuen, wie sie schon Tage vorher von nichts anderem mehr reden und noch lange danach von ihren glorreichen Toren berichten, hat mich sehr gefreut.

Mittwoch: „Operación amistad“. Der kleine Junge steht, heftig atmend, auf dem schwach beleuchteten Parkplatz in Bello. Der staubige harte Untergrund hat seinen Tribut gefordert, eine Schürfwunde ziert seinen Unterarm. Er will gerade wieder loslaufen, da hält er kurz inne, sein rechter Arm, der die ganze Zeit unter dem T-Shirt gesteckt hatte, schiebt sich hervor, er saugt ein - zweimal an der zum Vorschein kommenden Klebstoffflasche, dann läuft er wieder Richtung Tor, einarmig, taumelnd.

Wir waren mit ein paar Jungen aus der Albergue gekommen, Juan Carlos, Jorge, Dani und andere. Nach dem Spiel setzten wir uns zu den wenigen Zuschauern, Mauricio und John zaubern einen Plastikcontainer mit Limonade und einige Kekse hervor. Die kleine Mahlzeit wird unter allen gerecht aufgeteilt. Keiner spricht ein Wort, während Spieler und Zuschauer essen. Danach löst sich die kleine Gemeinschaft schnell auf. Die Jungen fahren in die Albergue, die anderen verschwinden unter der Brücke am Fluss. Keine großen Gesten, kein sichtbarer Erfolg, nur ein paar Kekse und ein staubiger Parkplatz.


Die Alltäglichkeit der Gefahr - Gewalt in Medellín

Ich bin auf dem Weg in die Albergue, kurz vor der Bushaltestelle in Copacabana begegnen mir einige Studentinnen der Normal. Ob ich auf dem Weg zur Schule sei, wollen sie wissen. Danach berichten sie aufgeregt, wie ihnen zwei Muchachos mit Messern aufgelauert hatten. Geld und andere Wertgegenstände hätten sie geraubt, wenige hundert Meter von der Schule entfernt.

Es gibt andere Geschichten, weit schrecklichere, von Mord und Gewalt. Millionen Pesos zahlte Pablo Escobar für den Tod eines Polizisten - viele töten für erheblich weniger. Das Krankenhaus St. Vicente wird am Wochenende förmlich überflutet von Menschen mit Schuss- und Stichverletzungen. Während in Europa Atemwegsinfektionen die Statistik anführen, sind in Medellín die meisten Patienten Opfer der Gewalt.

Wenn man die bewaffnete Polizei in Medellín sieht, fragt man sich nach Sinn und Zweck von Maschinengewehren und Schrotflinten. Selbst der Wachmann des Patio hat welche auf seinem Tisch liegen. Was sollen Waffen mit derartiger Feuerkraft?

Kurz vor unserer Fahrt nach Santa Fé de Antioquia spreche ich mit einer Frau, die bei uns zu Besuch ist. Zweimal bereits hat die Guerilla sie auf dieser Strecke angehalten, sie durfte weiterfahren, ohne Geld. Andere haben weniger Glück, in dieser Woche wurden vier Personen auf der Strecke zwischen Bogotá und Medellin erschossen und ausgeraubt. „Mehr als 50 Journalisten sind in den letzten zehn Jahren getötet worden. Kolumbien gehört zu den gefährlichsten Ländern der westlichen Hemisphäre“, so die Mitteilung der Internationalen Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit. „Kolumbien: Gewalt eskaliert. Bestürzung nach Ermordung von Erzbischof. In Kolumbien hat die Gewalt einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht.“ In diesem Land ereignen sich fast die Hälfte aller weltweit registrierten Geiselnahmen, zu lesen in Fischers Weltalmanach. Der Krieg, der in Kolumbien herrscht, ist Alltag. Seit Jahrzehnten befindet sich Kolumbien in einem kriegerischen Ausnahmezustand, und es scheint mir fast, als verlöre man das Bewusstsein dafür.

Vor zehn Jahren war es ja noch viel schlimmer, sagt mir ein Taxifahrer. Er ist immer schon in die Comunas gefahren. „Wenn man stirbt, dann stirbt man halt.“

Binnen einer Woche sterben über 100 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Paramilitärs und Guerrilla sowie bei Überfällen anderer Krimineller. In Europa hört man davon nichts.

Kolumbiens Krieg wird hauptsächlich auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen. Die Toten, Campesinos und Bewohner der Comunas, zählen wenig in den internationalen Statistiken, und während Guerilla und Paramillitärs weiter morden, kann man in Bogotá seelenruhig einen Kaffee trinken und sich freuen, dass hier alles so preisgünstig ist.


Eine Nacht in der Albergue

Heute verlasse ich nicht wie gewöhnlich die Albergue. Es ist früher Abend, und padre Louis Carlos erzählt den vor ihm auf dem Boden sitzenden Kindern eine Geschichte aus der Bibel.

Langsam wird es dunkel, ich gehe mit Juan Carlos noch einige Snacks kaufen. Wir müssen beide sehr lachen über das Gesicht, das der Ladenbesitzer macht, als ich mit meinem deutschen Akzent Chips und Kekse bestelle.

Wieder in der Albergue, krame ich meine Materialien hervor. Ich hatte einige Gedichte aus dem Internet ausgedruckt. Wir versammeln uns in dem einzigen Unterrichtsraum. Ausgehend von Rilkes Gedicht „Der Panther", beginnen wir über Träume und Zukunftspläne zu reden.

Ich liege noch lange wach, fixiere durch einen schmalen Fensterspalt das Lichtermeer des Zentrums. Immer wieder stöhnt einer der Kleinen, wälzt sich im Schlaf unruhig hin und her. Wie schwer es sein muss, so einsam zu schlafen, Nacht für Nacht, ohne Mutter, mit all den schrecklichen Erinnerungen. Kurz bevor ich einschlafe, Schüsse, drei, vier, dann wieder Stille.


Kinder in Medellín

Kinder auf den Strassen von Copacabana, auf dem Schulweg, auf den Fußballplätzen, in den Bussen, beim Betteln, unter den Brücken Medellins im Basuco-Rausch, in Krankenhäusern und Leichenhallen dieser Stadt.

Kinder prägen das Bild dieses Landes, sie sind seine Zukunft, unschuldige Opfer seiner Gegenwart.


„Pedagogia de los Ninos y Jovenes de la Calle"

Ein neuer Ansatz, ein Studiengang zum Thema Straßenkinder. Bleibt die Frage, in wie weit sich die Problematik überhaupt thematisieren lässt, und die Gefahr, dass über theoretischen Modellen die Intuition verloren geht. Mehr als wissenschaftliche Kompetenzen fordert die Arbeit mit den Straßenkindern soziale, menschliche Qualitäten.

In Deutschland soll Pädagogik die Erziehung der Eltern unterstützen, zumal in Schulen und Kindergärten, hier aber muss sie sie ersetzen. Die alltägliche Realität der Kinder ist mir fremd, und zu glauben, ich könnte mich in sie hineinversetzen und sie gar verstehen, wäre vermessen.

Sor Sara und Professor Weber begegnen diesen Gefahren mit Ideenreichtum und Erfahrung. Die praktische Arbeit wird in den Vordergrund gerückt, der unmittelbare Kontakt aber stellt jede Methode auf die Probe.

Der Studiengang ist keine wirklichkeitsferne Träumerei, er ist das ernsthafte Bemühen engagierter Menschen, die Situation von Straßenkindern nachhaltig und langfristig zu verbessern. Letztendlich bleibt es eine unlösbare Aufgabe. Der Studiengang wird keine Zauberformel hervorbringen. Doch dass man sich der Hoffnungslosigkeit stellt, Verantwortung übernimmt und dass sich verschiedene Parteien treffen, um Ideen und Erfahrungen auszutauschen und weiter zu entwickeln, ist bemerkenswert an diesem Studiengang.


Danke

Zum Schluss möchte ich mich bedanken, bei all den Menschen, die mich unterstützt haben. Sor Sara, die jede Idee sofort unterstützt hat. Victor, Fredy für seine interessanten Erläuterungen, Sor Dora, weil sie eine gute Lehrerin ist, den Studentinnen für ihr Engagement und ihre Liebenswürdigkeit und Professor Weber, der mir diesen Aufenthalt ermöglicht hat. Padre Louis Carlos, den educadores der Albergue bzw. des Patio, Mauricio, John, Bairon und den anderen. Familie Gonzales Rios, Familie Valega Ruíz, die mich in Medellín bzw. Barranquilla beherbergt haben.


Schluss

Ich hatte knapp zwei Monate Zeit, mich mit einer Problematik auseinander zusetzen, die in dieser Form in Deutschland nicht existiert. Ich habe viele Menschen kannengelernt und Freundschaften geschlossen. Vieles hat mich sehr bewegt, und einige Menschen haben mich stark beeindruckt. Im Kino werden Helden in Blut und Pathos ertränkt. Mir schien es oft, als warte ich auf Musik und Tränen, die nicht kommen, wenn der Vorhang fällt, und niemand applaudiert.

 

 

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