Hintergrundinformationen / Erfahrungsberichte
                 
               
              Naturwissenschaften  für Straßenkinder: 
Ein sinnvolles Unterfangen?
                Bericht zum Aufenthalt in Kolumbien 28.07.08 bis 16.08.08 von Elmar  Breuer und Manuela Welzel.
                Auftakt mit Vorträgen in Bogotá
                Unser  diesjähriger Aufenthalt in Kolumbien begann mit einem fünftägigen Besuch in  Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens.
                                  
 
                  Plaza Bolivar in Bogotá
                 Dr. Thomas Dittrich,  Professor für theoretische Physik an der Universidad Nacional in Bogotá, war über  eine Veröffentlichung im Physik Journal auf unser Projekt „Physik für Straßenkinder“  aufmerksam geworden und hatte uns zu einem Vortrag ins Physik-Kolloquium seines  Fachbereichs eingeladen.
                  Unter dem Titel „Enseñanza de la física  para niños de la calle – un enfoque razonable?“ gestalteten wir die  Auftaktveranstaltung der Kolloquiumsreihe.
                
                  Plakat zum Vortrag
                 Vor ca. 50 Zuhörern trugen  wir über das Anliegen, Kindern und Jugendlichen in schwierigen  Lebenssituationen Bildungsschancen und neue Perspektiven zu bieten, den  bisherigen Verlauf unseres Teilprojekts und Ergebnisse der wissenschaftlichen  Begleitung vor. Das sehr interessierte Publikum und auch die anwesenden Pressevertreter  hatten viele grundlegende Fragen zur Straßenkinderproblematik und zum Projekt „Patio  13 – Schule für Straßenkinder“, so dass wir – mit unseren begrenzten  Spanischkenntnissen – sehr froh waren, dass Angela Uribe vom Kompetenzzentrum  Patio 13 in Copacabana anwesend war und uns sachkundig unterstützte.
  Zwei Tage später  wiederholten wir - diesmal in der Diskussion kompetent unterstützt von Sor Sara  - unseren Vortag in Bogotás interaktivem Science Center „Maloka“. Auch hierhin  kamen wir auf Einladung und erfuhren ein reges Interesse an unserer Arbeit.  Maloka engagiert sich als nationales Zentrum von UNAWE Colombia (Universe  Awareness) für die naturwissenschaftliche Bildung in Südamerika – insbesondere  für benachteiligte Kinder. In den Gesprächen zeigten sich dann auch viele  gemeinsame Interessen und innovative Ideen. Erste Pläne in Sachen Kooperation  mit dem Projekt Patio 13 im Bereich der Naturwissenschaft wurden beraten.
                
                    
                  
                  Maloka zum Staunen und  Fühlen
                Bogotá konnten wir bei  unserem Besuch besonders gut kennen lernen, da uns Eduardo, der aus Bogotá  stammt und in Heidelberg Straßenpädagogik studiert, teilweise mit  Familienangehörigen auf unseren Streifzügen durch die Stadt begleitet hat.
                
                    
                  
                  Im Altstadtviertel „La  Candelaria“
                Projektarbeit in Copacabana/Medellín
                Ziel unseres diesjährigen  Aufenthaltes in Copacabana sollte es sein, mit einer Gruppe von Studentinnen  der Escuela Normal María Auxiliadora zunächst naturwissenschaftlichen Unterricht  für Straßenkinder zu planen und anschließend die Studentinnen beim Unterrichten  zu begleiten. Der Unterricht sollte per Video aufgezeichnet werden, um ihn dann  in einer Reflexionsphase gemeinsam analysieren zu können.
                Dieser Aufgabe stellte sich,  tatkräftig unterstützt von Angela Uribe, eine Gruppe von 13 Studentinnen aus  den Jahrgangsstufen 10 und 13. Die Studentinnen brachten viele Ideen in das  Projekt, die Planung für den Inhalt der vorzubereitenden Unterrichtssequenzen war  allerdings noch recht diffus. Um dennoch in der Kürze der zur Verfügung  stehenden Zeit etwas Gutes auf die Beine zu stellen, organisierten sich aus den  Studentinnen rasch drei Teilgruppen, die sich dann intensiv an die  Themenfindung machten.
                
                    
                  
                Unterrichtsvorbereitung  bei intensiver Diskussion
                 So gelang es den  Studentinnen, innerhalb von drei Tagen drei verschiedene Unterrichtsstränge  - „Tiempo“ (Zeit/Zeitmessung), „Magnetismo“  (Magnetismus) und „Respiración“ (Atmung) -  zu entwickeln, sich gegenseitig ihre Pläne vorzustellen sowie das  notwendige Material zu beschaffen und vorzubereiten: 
                1. „Tiempo“: Melissa, Lina, Melina und Laura planten einen Unterricht zum Thema Zeit/Zeitmessung.  Angelehnt an die historische Entwicklung sollten mit den Straßenkindern Sonnenuhren  und Sanduhren gebastelt und die Schwingungen eines Pendels betrachtet werden.  Zusätzlich konstruierten die Studentinnen eine Kerzenuhr als  Demonstrationsobjekt.
                
                  Prototyp einer  Sonnenuhr
                2. „Magnetismo“: Eine weitere Gruppe von fünf Studentinnen (Daniela, Daniela, Carmen,  Alejandra, Sara) hatte Phänomene rund um den Magnetismus zum Unterrichtsgegenstand  gewählt. Nach einführenden Experimenten mit Permanentmagneten sollten Kompasse  betrachtet, Elektromagneten gebaut und Elektromotoren untersucht werden.
                                  
                Ausarbeitung des Unterrichts zum Thema Magnetismus, rechts Lungenmodell
                3. „Respiración“: Die dritte Gruppe, bestehend aus Nathalia, Sara, Nataly und Sirley, plante  eine Unterrichtssequenz zum Thema „Atmung“. Mit den Kindern sollten Modelle  gebaut werden, die die Funktionsweise der Lunge veranschaulichen und es sollten  Experimente zur Bestimmung des Atemvolumens durchgeführt werden.
                
                  Vorfertigung der  Lungenmodelle in Serie
                Unterricht mit Straßenkindern und einer Vergleichsgruppe
                Alle drei  Unterrichtskonzepte wurden in den folgenden Tagen von den Studentinnen mit  Straßenkindern in die Praxis umgesetzt. Zusätzlich unterrichteten sie jedes  Thema in gleicher Weise in einer Landschule (Las Granjas Infantiles) für eine  Gruppe von zehn Jungen eines vierten Schuljahres. Durch das parallele  Unterrichten in den unterschiedlichen Gruppen sollte es möglich sein, die Beobachtungen  bei den Straßenkindern mit denen bei schulisch sozialisierten Kindern zu  vergleichen. 
  Der  Unterricht wurde jeweils für die anschließende Reflexion im Seminar mit einer  Videokamera gefilmt. Für uns dienen die Videoaufnahmen darüber hinaus übrigens für  weitergehende Analysen der Unterrichtsprozesse.
                  
                    
                  
                  Bau und Erprobung von  Sonnenuhren 
                 
                
                    
                  
                  Bau von Sanduhren,  Betrachtung einer Kerzenuhr, Erprobung von Sanduhren 
                 
                
                    
                  
 
                  Spiel mit der magnetischen  Kraft, Kompass im Mittelpunkt
                 
                
                    
                  
                  Schwimmender Magnet  als Kompass, faszinierende Elektromotoren
                 
                
                    
                  
                  Vorführung des gerade  hergestellten Lungenmodells, Erprobung des Atemvolumens
                 
                Reflexion des Unterrichts im Seminar
                Der Unterricht fand jeweils  vormittags statt. Nachmittags trafen wir uns mit allen Studentinnen des  Projekts zur Reflexion der Arbeit. Zuerst berichteten immer die Studentinnen,  die den Unterricht gemacht hatten, über ihre Eindrücke. Anschließend sahen wir  Ausschnitte aus den Videofilmen genauer an. 
                
                  Das Unterrichts-Video  wird diskutiert
                In den meisten Fällen waren  die Studentinnen begeistert über die motivierten und eifrig mitarbeitenden  Kinder beider Gruppen. Sie wunderten sich darüber, wie ausdauernd diese bei der  Sache blieben, wie interessiert sie nachfragten und ihr Wissen kund taten.  Besonderen Anklang schien es bei den Kindern zu finden, wenn Dinge gebastelt  wurden, die sie behalten durften. Als etwas schwierig erwies sich für die  Studentinnen, dass die Kinder durch solche Unterrichtsstunden eine sehr hohe  Erwartungshaltung entwickelten und später ihren Unmut darüber äußerten, wenn  einmal nichts gebastelt wurde, das man hätte behalten dürfen. Der lebhaften und  interessierten Mitarbeit im Unterricht tat dies jedoch keinen Abbruch. Über die  Analyse der Videos wurde deutlich, was die Kinder alles schon über die  behandelten Phänomene wissen, wie sie damit umgehen und wie sie ihr Wissen  weiter entwickeln. Die Studentinnen konnten so gemeinsam mit uns Neues darüber  lernen, wie sie ihren Unterricht mit Straßenkindern und Kindern aus schwierigen  Lebenssituationen besser und effektiver gestalten können. Wir waren  beeindruckt, wie schnell unsere Studentinnen diese neuen Ideen in die Tat  umsetzten und weiter unermüdlich kritisch reflektierten. 
                Exkursionen in Medellín 
                Natürlich ist es wichtig,  einen Aufenthalt in Kolumbien auch dafür zu nutzen, das Land und seine Menschen  besser kennen zu lernen und zu verstehen. In diesem Jahr haben wir vor allen  Dingen interessante Orte im Stadtbereich von Medellín kennen gelernt. Dazu  gehören unter anderem drei der insgesamt fünf Bibliotheken, die in den letzten  Jahren unter dem Titel „Parques Biblioteca“ in unterschiedlichen Barrios von  Medellín errichtet worden sind. In vormals randständigen und teilweise von Gewalt  beherrschten Stadtvierteln sind dadurch Bildungszentren entstanden, die mit  erstaunlicher Architektur Treffpunkte für die Bevölkerung bilden. Die Aussicht  von einigen Bibliotheken über die Stadt ist zudem atemberaubend. 
                
                    
                  
                  Zwei Beispiele aus dem  Parque de Bibliothecas
                Beim Besuch der Bibliotheken  sind wir zwei verschiedene Strecken der Metro Cable gefahren, Kabinen-Seilbahnen,  die einen Teil des Metrosystems von Medellín bilden. 
  Auf einer Ausstellung haben  wir die preisgekrönten Gewinner unter den „Silletas“ angesehen: So werden die  zur Feria de las Flores angefertigten Blumengestecke bezeichnet.
                
                    
                  
                  Eine Teilstrecke der  Metro Cable in Medellín, rechts Darstellung auf einer „Silleta“