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Ein Erfahrungsbericht

mit Informationen
zur Reisevorbereitung für andere

von Bettina Ehrlich (Juni 2004)

über einen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanzierten Stipendienaufenthalt in Kolumbien (August-Oktober 2003) im Rahmen meiner Zulassungsarbeit mit dem Titel

„Schuldrucken nach Freinet – Möglichkeiten nichtkontinuierlicher Alphabetisierungsarbeit mit Straßenkindern in Kolumbien - Entwicklung von Projektbausteinen -“

Mein erster Kolumbienaufenthalt (Oktober 2001-März 2002), bei dem ich Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und mit Straßenkindern gearbeitet habe, wurde durch einen Reisekostenzuschuss aus den Mitteln des Landes Baden-Württemberg unterstützt.


1 Reisevorbereitungen

1.1 Visum

Da sich die Einreisebestimmungen in den letzten zwei Jahren zwischen meinen zwei Aufenthalten geändert haben und bei Visumspflicht die Art des Visums je nach Grund der Einreise unterschiedlich sein kann, empfehle ich, sich einige Monate vorher beim zuständigen Konsulat genau zu informieren. Generell gilt im Moment, dass alle bis auf Touristen ein Visum brauchen. Touristen können bei der Einreise theoretisch (nicht immer der Fall!) drei Monate Aufenthaltsgenehmigung bekommen, die aber im Land noch drei Mal um jeweils einen Monat verlängert werden kann.

Ansonsten gilt:

Das zuständige Konsulat anrufen und sich die Informationspapiere zuschicken lassen. Achtung : Wenn man soziale Arbeit im Gastland tätigt ohne Geld zu verdienen, kann man ein „kostenfreies“ (die Anführungsstriche erklären sich im Folgenden selbst) Visum bekommen.

Die nötigen Papiere vom Gastland und von Deutschland besorgen, unter anderem ein Gesundheitszeugnis und dabei wie folgt verfahren (das Beispiel ist exemplarisch, um die Reihenfolge und die Anzahl der zu gehenden bürokratischen Wege zu verdeutlichen; mir hätte es sehr geholfen, das vorher zu wissen):

Vom Arzt oder im Gesundheitsamt (kostenpflichtig) untersuchen und schriftlich bestätigen lassen, dass man keine ansteckende Krankheit hat.

Dieses Schreiben vom zuständigen (!) (d.h. im selben Bundesland) Gesundheitsamt beglaubigen lassen (kostenpflichtig).

Danach vom zuständigen Regierungspräsidium beglaubigen lassen (der Stempel heißt „Apostille“ und ist auch kostenpflichtig).

Das alles (also auch die Stempel) von einem beglaubigten Übersetzer, der im zuständigen Bereich registriert ist, übersetzten lassen (kostenpflichtig).

Diese Übersetzung vom zuständigen Notariat beglaubigen lassen (kostenpflichtig).

Und zu guter Letzt noch vom zuständigen Landesgericht beglaubigen lassen (kostenpflichtig).

Wenn man dann alles beisammen hat (Papiere, Passbilder, etc.), fährt man zum Konsulat, um noch ein Formular auszufüllen und kann dann nach einigen Stunden das Visum gleich mitnehmen.

Achtung : Das Rückflugdatum auf dem Ticket muss der gültigen Visumzeit entsprechen (auch wenn man später verlängern kann).


1.2 Geldtransfer

Bargeld in der Landeswährung, dem kolumbianischen Peso, bekommt man relativ leicht mit der EC-Karte (Maestro) an Automaten. Zudem empfiehlt es sich, eine Visa- oder Mastercard (Akzeptanz von VISA ist meiner Einschätzung nach höher) mitzunehmen, falls die EC-Karte mal nicht akzeptiert wird oder um größere Beträge (z.B. bei Flugumbuchung) zu bezahlen.

Von Travellerschecks und Bargeld in US-Dollar ist abzuraten, da sie nur von wenigen großen Banken im Zentrum der Städte angenommen werden.


1.3 Sicherheit

Oft wird man zum Thema Sicherheit in Kolumbien gefragt. Es ist sehr schwer, etwas darüber zu sagen.

Einerseits erfährt man in Deutschland von den Nachrichten - wenn überhaupt - nur den Terror und die Probleme in Kolumbien. Somit ist das Bild vieler Menschen einseitig und zwar negativ geprägt. Aber Kolumbien besteht nicht nur aus Krieg, Guerrilla, Paramilitär, Drogenmafia und Entführungen. Im Gegenteil: die terroristischen Gruppen nehmen nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung ein. Andererseits darf man nicht vergessen, dass alles, was die Nachrichten zeigen, real ist und wirklich passiert. Es gilt also, diese beiden Aspekte gegeneinander aufzuwiegen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Diese Einschätzungen fallen folglich sehr verschieden aus und können nur subjektiv sein, da der Grad der Gefahr nicht in einer Ziffer zu berechnen und wiederzugeben ist. (Und selbst, wenn er das wäre, würde das wahrscheinlich auch nicht wirklich weiterhelfen.)

Außerdem müsste man differenzieren zwischen Stadt und Land, innerhalb der Stadt zwischen verschiedenen Stadtteilen und auf dem Land zwischen unterschiedlichen Regionen, zwischen bürgerkriegsbedingten Gefahren ausgelöst durch die verschiedenen terroristischen Gruppen und allgemeiner Kriminalität.

So sollte sich also meiner Meinung nach jeder, der nach Kolumbien reist, eines gewissen Risikos bewusst sein und sich (vorher und während des Aufenthalts) genau über die (vergangene und aktuelle) politische und soziale Lage informieren. Es gilt die schon vom Auswärtigen Amt formulierte Vorsichtsmaßnahme, nur über Kontaktpersonen ins Land zu Reisen, was ja normalerweise gegeben ist, wenn man im Rahmen des Studiums einen Aufenthalt im Gastland plant.

Es gibt viele Gebiete und Stadtteile, die als sicher gelten, aber dennoch ist immer äußerste Sicherheit geboten. Dafür kann man keine verallgemeinernde Ratschläge geben wie z.B. keinen Silber- und Goldschmuck oder keine auffällige Kleidung tragen, weil es darauf ankommt, wo, wann und mit wem man sich bewegt. Es gilt also, die Augen offen zu halten und feinfühlig zu sein für die jeweilige Situation, in die man sich begibt.

Darüber hinaus sollte man sich immer bei Einheimischen (am besten bei mehreren, denn die Antworten können verschieden ausfallen) erkundigen, wo man hingehen kann und bis zu welcher Uhrzeit und wohin man besser nicht gehen sollte oder auf keinen Fall darf.

Es ist nicht ratsam, Getränke von fremden Leuten anzunehmen, da ihnen „escopolamina“ beigefügt worden sein könnte. Das ist ein weißes pulverförmiges Alkaloid, das - auch durch bloßes Einatmen einer geringen Menge - bewusstlos macht. Dieses Mittel wird bei Überfällen eingesetzt - meistens bei Geldraub -, um die Opfer gefügig zu machen. Sie wachen meist nach einigen Stunden, nachdem sie den Tätern ihr Geld vom Konto abgehoben haben oder sie zu sich nach Hause geführt haben, auf und können sich an nichts mehr erinnern. Ich selbst habe nie einen solchen Vorfall erlebt, aber von Einheimischen Ereignisse erzählt bekommen.

Diese Informationen sollen nicht abschrecken, es sind vielmehr Tipps, deren Berücksichtigung den Aufenthalt sicherer gestalten.


2 Verlauf der wissenschaftlichen Arbeiten

2.1 Methodeninstrumentarium

Mit folgenden Methoden habe ich gearbeitet:

- Anamnese durch

  • mündliche Befragung (Mitschriebe, Aufnahmen mit dem Diktiergerät) und
  • Analyse von Tätigkeitsergebnissen (Schreibprodukte)

- Dokumentation der Arbeit durch

  • teilnehmende Beobachtung (Arbeitstagebuch, Videofilm, Fotos) und
  • Analyse von Tätigkeitsergebnissen (Schreib- und Druckprodukte)

Die mündliche Befragung lief in Form von Einzelinterviews ab, für die ich mir zuvor Fragen als Leitfaden zurechtgelegt hatte, deren Reihenfolge und Formulierung nicht verpflichtend war. Denn ich beabsichtigte, Gespräche, die möglicherweise zustande kommen könnten, nicht zu verhindern und auf die Äußerungen der Straßenkinder einzugehen bzw. eventuelle Zwischenfragen zu stellen. Somit lässt sich diese Form des Interviews in den Bereich der teilstandardisierten Befragung einordnen.


2.2 Erreichte Ziele

  • Kontaktaufnahme zu den Straßenkindern und Ermittlung derer (Lese- und) Schreibfähigkeiten und Zugänge zu Schriftlichkeit
  • Beschaffung fehlender Materialien und Einrichtung einer kleinen Druckwerkstatt
  • Heranführen an die Drucktechnik durch den Einsatz großer Holzlettern und das Drucken einfacher Wörter und Zahlen wie Namen und Alter
  • Drucken kurzer - von den Kindern selbst gewählter - Texte (Briefe, Lieder, Witze)
  • Durchführung kleinerer Projekte:

• Herstellung eines eigenen Liederbuches,

• Drucken eines Plakates und vieler Grußkarten für einen besonderen Anlass (z.B. „día del amor y la amistad“, vgl. Abb. 2)

Abb. 2

• Bedrucken von Baumwolltaschen

  • Besuch einer Jugendstrafanstalt, um das dort verwendete Druckverfahren - die Serigraphie (Siebdruck) - kennen zulernen
  • Erstellung und Einsatz von didaktischem Material (auf das dort gesprochene Spanisch ausgerichtete Anlauttabelle) in Zusammenarbeit mit dem betreuenden Dozenten Dr. Huneke


Es wurde mit verschiedenen Zielgruppen gearbeitet, d.h. mit Straßenkindern, die noch nicht lesen und schreiben können - die Arbeit mit dieser Gruppe stand im Vordergrund -, aber auch mit solchen, die diese Kompetenzen schon besaßen.

Außerdem habe ich versucht, immer mit denselben Kindern zu arbeiten, damit ich ihren Lernprozess beobachten kann - auch wenn sich das bei der Arbeit mit Straßenkindern aufgrund ihrer Lebensgewohnheiten nur bedingt realisieren lässt.

Darüber hinaus habe ich mit den Kindern einzeln (1-2 Personen) und in kleinen Gruppen (bis 7 Personen) gearbeitet.

Einzeln, damit ich das Lernpotenzial des Schuldruckens im Hinblick auf den Schriftspracherwerb (z.B. durch die selbstständige, eigenaktive Aneignung und die von der Sache veranlasste Rechtschreibmotivation) und die Persönlichkeitsbildung (sie umfasst Lernziele wie Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein, Kreativität, Ausdauer und den Umgang mit Zeit) genau beobachten konnte und individuell auf die Kinder eingehen konnte. Das ermöglichte mir, eine enge Beziehung zu ihnen aufzubauen und sie darüber hinaus zu „Experten“ im Sinne Freinets auszubilden. Ein weiterer Grund waren die äußeren Bedingungen: Es waren nicht alle Materialien ausreichend vorhanden, um mehr als einen Text zu setzten und zu drucken, denn es gab für die kleinen Metalllettern nur einige Setzrähmen und nur eine Abziehpresse. Dennoch habe ich auch mit mehreren Kindern in unterrichtsähnlichen Situationen gearbeitet, um auch die sozialen Lernpotenziale, die das Schuldrucken eröffnen kann (wie z.B. Kooperation, Arbeitsteilung, Rücksichtnahme und Verantwortung), zu testen und zu nutzen.


3 Abschlussbetrachtung und Danksagung

Die gewaltigen, andersartigen und wundervollen Erfahrungen, die ich gemacht habe, kann und möchte ich nicht in toten, unbeweglichen Buchstaben zu Papier bringen. Oft sind es kurze Augenblicke oder auch lange Gespräche, die man nie wieder vergisst. Diese wurden mir z.B. von Kindern bei der Arbeit geschenkt.

Oft stieß mein Verständnis bei Ereignissen oder Verhaltensweisen an Grenzen, was mich immer wieder dazu veranlasste, meine Wirklichkeitskonstruktionen zu verwerfen und mich tiefer auf die Fremderfahrung einzulassen. Erst wenn man – Monate später – ähnlichen Situationen, die anfangs befremdend waren, wieder begegnet und sie überraschenderweise versteht und mit ganz anderen Augen sieht, merkt man, wie die fremde Wirklichkeit nach und nach – fast schleichend – die eigenen Wertmaßstäbe und Wirklichkeitsinterpretationen verändert hat. Ich bin unendlich dankbar für die wundervolle Erfahrung, die Merleau-Ponty so schön formuliert hat: „Es geht darum zu lernen, wie man das, was unser ist, als fremd, und das, was uns fremd war, als unsriges betrachtet.“

Ich bedanke mich sehr herzlich beim DAAD und seinen Mitarbeiter(innen) für die Unterstützung durch das Stipendium ebenso wie beim Akademischen Auslandsamt und dem Rektorat der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Danken möchte ich auch allen Menschen, die mich vor, während und nach dem Aufenthalt in Kolumbien auf verschiedene Art und Weise unterstützt haben – Deutsche und Kolumbianer(innen); Familie und Freunde, Kinder und Jugendliche, Studierende und Lehrende, Mitarbeiter(innen) der Partnerinstitutionen und Schwestern des Salesianerordens. Mit ihnen durfte ich viele schöne, interessante, aufregende und bereichernde Momente erleben. Bei der Arbeit mit den Kindern habe ich Augenblicke erlebt, die ich

Das sind kurze Augenblicke im Leben, die man nie wieder vergisst.

Zu ganz besonderem Dank verpflichtet fühle ich mich gegenüber Herrn Dr. Huneke, der bei beiden Kolumbienaufenthalten mein Ansprechpartner für das Praktikum in Deutsch als Fremdsprache und für die Alphabetisierungsarbeit mit der Druckwerkstatt war und sowohl vor als auch nach beiden Kolumbienaufenthalten immer freundlich und zuverlässig mit Rat, Tat und Materialien geholfen hat.

Zu guter Letzt schulde ich den tiefsten Dank all den lieben Menschen, die mich so herzlich in ihre Familie aufgenommen haben, und ohne die alles nur halb so anregend, emotional und schön gewesen wäre.