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Ein Bericht
von Susanne B. Jung
(Okt 04 - Feb 2005)
Bericht über
meinen Auslandsaufenthalt in Kolumbien
Als ich meinen sechsmonatigen
Auslandsaufenthalt plante, wusste ich nicht, was mich erwarten
würde.
Ich hörte die unterschiedlichsten
und widersprüchlichsten Dinge über Kolumbien: Auf
der einen Seite erzählte man mir von der wunderschönen
Landschaft und den freundlichen Menschen, aber auf der anderen
Seite machte man mir Angst, dass es viele Probleme gäbe.
Selbst in den Medien hörte man ausschließlich Negatives:
Guerilla und Paramilitares, politische Probleme, Drogenhandel,
Armut und Gewalt. Gerade weil Kolumbien ein von uns so weit
entferntes und von Grund auf andersartiges Land ist, war ich
mir nicht sicher, wie ich mich gründlich darauf vorbereiten
sollte. Ich war hin und her gerissen zwischen Angst, Neugierde
und Vorfreude auf etwas Unbekanntes.Am Flughafen wurde ich von
vielen netten Kolumbianern empfangen. Allerdings erschrak ich
über die vielen armen Menschen, die ich schon auf meiner
ersten Autofahrt am Straßenrand sitzen sah.
Von meiner Familie, in der ich
die nächsten Monate wohnen sollte, wurde ich herzlich aufgenommen
und fühlte mich sofort zu Hause – was sich auch nach
Wochen nicht ändern sollte; mir ist jeder einzelne ans
Herz gewachsen, und ich fühlte mich nicht wie ein Eindringling,
sondern als ein Teil der Familie.
Auch das
Essen war sehr unterschiedlich, aber mit Neugier versuchte ich
alles Unbekannte, und besonders die Spezialitäten wie Arepa,
Frijoles (Bohnen), Empanadas, Sancocho, Bandeja Paisa, Agua
panela etc. wurden zu meinen Lieblingsessen.
Gerade am Anfang war ich froh,
dass ich nicht die einzige Person aus Deutschland war. Oft traf
ich mich mit Silja E., Conny K. und Therese A., um Ausflüge,
Freizeit, Arbeit im Patio mit Schülern und Studenten zu
planen und vor allem, um unsere Eindrücke dieses fremden
Landes auszutauschen. Auch Nathalie V. war uns oft eine große
Hilfe, da sie unsere Kultur und Sprache kennt. Dass ich anfangs
kaum die fremde Sprache beherrschte und mich mit Händen
und Füßen verständigen musste, machte meinen
Auslandsaufenthalt noch viel interessanter. Ich merkte zusehends,
wie ich mich durch Hilfe meiner Freunde und Familie und viele
Gespräche mit ihnen wie auch durch intensives Lernen mit
meiner Grammatik ständig verbesserte und meinen Wortschatz
erweiterte.
Auch das Umrechnen des Geldes
in eine fremde Währung machte mir Spaß und erstaunte
mich oft, da für europäische Verhältnisse alles
billig schien, aber die Menschen hier nicht so viel verdienen
bzw. Probleme haben, eine Arbeit zu finden und zu halten.Da
Silja einen Monat vor Conny, Therese und mir in Kolumbien war,
übernahm sie zuerst alle drei Deutschkurse in der Escuela
Normal Superior María Auxiliadora alleine. Als wir Anfang
Oktober dazu kamen, teilten wir den Unterricht auf. Ich übernahm
mit Silja zusammen die Studenten der elften Klasse, konnte allerdings
anfangs nicht viel zum Unterrichtsgeschehen beitragen, da ich
sprachliche Probleme hatte und viele Schüler die deutsche
Sprache noch nicht gut beherrschten, so dass ich alles auf Deutsch
hätte sagen können. Allerdings bereitete ich den Unterricht
mit vor und analysierte ihn im Nachhinein zusammen mit Silja.
Selbst in den Schulferien führten wir den Unterricht bis
Weihnachten intensiver mit drei interessierten Studenten fort
(andere Schülerinnen nahmen unser Angebot leider nicht
wahr).
Im neuen Jahr übernahm
ich ebenfalls mit Silja die siebte Klasse und, als Conny und
Therese früher heimkehrten, auch die neunte/zehnte Klasse.
Da der Unterricht auf freiwilliger
Basis stattfand, war die Anwesenheit leider nicht immer regelmäßig.
Außerdem erschwerte die Tatsache, dass keine regelmäßige
Beschulung der Schüler und Studenten stattfindet und häufige
Lehrer- und Konzeptänderungen des Deutschunterrichtes vorgenommen
werden, das Lernen und beeinträchtigt die Motivation einiger
Schüler. Allerdings arbeiteten jene, die einen Auslandsaufenthalt
in Deutschland planen, diszipliniert mit und lernten auch privat
konsequent. Bei diesen Studenten konnte man einen enormen Entwicklungsprozess
beobachten und Gespräche und Diskussionen in deutscher
Sprache durchführen; sie selber nahmen teilweise an der
Gestaltung des Unterrichtes teil.Um mehr über die Kultur,
die Gegend und die Mentalität der Menschen in Kolumbien
zu erfahren, erklärte sich Fredy V. dazu bereit, sich einmal
in der Woche mit uns zu treffen, um ein Seminar zu halten. Wir
sprachen über Probleme der Arbeit mit den Straßenkindern.
So hatten wir die Möglichkeit, unsere Erfahrungen, Kritik
und Beobachtungen zu verarbeiten und mehr über diese Arbeit
zu erfahren. Außerdem unternahmen wir einige interessante
Ausflüge. Wir besichtigten das Stadtzentrum Medellíns,
das Museum Botero, den Markt "Plaza Las Minoristas",
einige Stadtteile (den Barrio Santo Domingo, den Sektor Guayaquil
und die Comuna 13) und die "Institución Educativa
Gabriela Mistral" in Copacabana. Zusammen mit Victor oder
Nathalie unternahmen wir Ausflüge, um Antioquia mit seinen
Dörfern besser kennen zu lernen. Auch unsere Freunde und
Gastfamilien gaben sich viel Mühe, uns die Umgebung näher
zubringen und planten zahlreiche Freizeitaktivitäten für
uns.
Nach Weihnachten lernten wir
einen weiteren Teil Kolumbiens und eine andere Mentalität
kennen: Wir vier Deutschen fuhren für etwa drei Wochen
an die Karibikküste (Cartagena, Santa Marta, Parque Tairona).Ich
brauchte bei meiner Arbeit im Patio zuerst ein wenig Zeit, um
mich an die Situation zu gewöhnen. Zudem hatte ich auch
Probleme mit der Sprache, aber die Jungen bemerkten dies schnell
und halfen mir, mich zu verständigen. Die ersten zwei Wochen
schaute ich beim Computerunterricht von Conny und Therese und
beim Deutschunterricht von Silja und Nathalie zu und unterhielt
mich mit den Jungen, um mehr über ihre Vergangenheit und
Lebensweisen zu erfahren.
Geplant war, dass ich beim Physikunterricht
mitarbeitete, da dieser aber erst gegen Ende des Jahres anfangen
sollte, half ich zuerst Silja, als Nathalie keine Zeit mehr
hatte, und stieg nach und nach richtig beim Deutschunterricht
ein. Anfangs hatten wir noch eine relativ feste Gruppe von sechs
interessierten Schülern, die aber, als wir im Januar wiederkamen,
nicht mehr da waren, sodass wir uns eine neue Gruppe suchten.
Oft kamen völlig neue Schüler, und wir mussten wieder
von vorne anfangen. Insgesamt ist die Arbeit mit den Straßenkindern
nicht einfach, da keine Schulpflicht für sie besteht und
oft Aktivitäten wie Fußball etc. wichtiger für
sie sind. Außerdem wurden wir schlecht informiert, was
anderen Unterricht zur selben Zeit, Ausflüge und Putzaktionen
anging. Dies erschwerte unsere Arbeit, und so fuhren wir oft
ins Zentrum, ohne unsere geplanten Aktivitäten durchführen
zu können. Allerdings kamen wir auf diese Weise öfters
mit einigen Jungen ins Gespräch und hatten die Möglichkeit
mit ihnen zu spielen. Zu einigen entstand ein freundschaftliches
Verhältnis, was durch den gemeinsamen Ausflug im Dezember
zu den Alumbrados und im Februar zum Pueblito Paisa verstärkt
wurde.
Mit ein paar Jungen der Comuna
13 organisierten wir ein HipHop-/Reggaeton-Konzert im Patio.
Die Musil eröffnet den Jungen die Möglichkeit, ihre
Gefühle offen auszudrücken.
Alles in allem hat mir meine
Zeit im Patio sehr gut gefallen, und ich denke, dass ich viel
von dieser Arbeit lernen konnte, z.B. ohne Vorurteile auf Menschen
zuzugehen und jeden so, wie er ist, zu akzeptieren.Was mich
sehr über die Mentalität der Kolumbianer ärgert,
war die Unpünktlichkeit und Unorganisiertheit sowohl in
der Öffentlichkeit als auch im privaten Raum. Oft musste
man stundenlang warten, und mein zuvor so gut geplanter Stundenplan
wurde ständig durcheinander geschmissen. Auf der anderen
Seite wirkten die Menschen in Kolumbien dadurch viel gelassener
und sorgloser als die Deutschen, die so oft hektisch und verbissen
durch die Straße eilen. Schnell gewöhnte ich mich
an diese Kultur, ließ meine Uhr zu Hause und fand oft
Zeit, einfach mal zwischendurch einen Kaffee zu trinken und
über das gerade Erlebte nachzudenken und Erfahrungen zu
verarbeiten.
Oft wurden wir im Bus, Café
oder auf der Straße angesprochen und nach dem Grund unseres
Aufenthaltes in Kolumbien gefragt. Die Leute wirkten sehr interessiert,
waren äußerst freundlich, halfen uns und luden uns
ein, ihre Kultur besser kennen zu lernen. Ich habe noch nie
in einem Land so viele freundliche und selbstlose Menschen kennen
gelernt, wie in Kolumbien.
Viele meiner Fragen über
Kolumbien haben sich bis heute noch nicht beantworten lassen,
da tiefe Gegensätze in diesem Land herrschen. Allerdings
war dieses halbe Jahr für mich eine Erfahrung, die ich
nicht missen möchte und die mir eine ganz neue Lebensweise
offenbart hat.
Außerdem bin ich dankbar,
dass es so viele Leute gab, die mir geholfen haben und mir meinen
Aufenthalt erleichtert haben. Ich bin davon überzeugt,
dass ich viele Freundschaften für mein ganzes Leben gefunden
habe!
Susanne B. Jung