Hintergrundinformationen / Erfahrungsberichte / Catalina Baena 
                 
               
              Auf den Wegen von Hilde Domín 
                Bericht zum Studienaufenthalt von Catalina Baena Gómez in Heidelberg (01.10.2006 - 31.07.2007)
                Mein Name ist Catalina  Baena Gómez. Ich bin am 22. September 1988 in Medellín, Kolumbien, geboren. Ich  besuchte die Escuela Normal Superior „María Auxiliadora“ in Copacabana, in der  Nähe von Medellín. Diese Schule arbeitet mit der Pädagogischen Hochschule  Heidelberg im Projekt „Patio 13“ zusammen, in dem neue pädagogische und  didaktische Ansätze für die Bildung von Straßenkinder entwickelt werden. In den  letzten zwei Jahren meiner Schulausbildung nahm ich Kontakt mit dem Projekt  auf. Dabei lernte ich Austauschstudenten und Professoren kennen, die die Situation  in Kolumbien erforschten. Somit entdeckte ich neue pädagogische Theorien und  didaktische Methoden, welche meine Arbeit mit Straßenkindern im Rahmen des  naturwissenschaftlichen Unterrichts bereicherten. Das weckte mein Interesse,  mich um ein Stipendium des Landes Baden-Württemberg für ein Austauschjahr in  Deutschland zu bewerben. Neben dem Unterricht der Deutschen Sprache im  Alexander von Humboldt Institut in Medellin, führte ich das Forschungsprojekt  „Sprachspiele“ im naturwissenschaftlichen Unterricht für Straßenkinder. In dem  Projekt wurden ethnographische sowie literarische und umgangssprachliche  Aspekte berücksichtig, um herauszufinden, ob die formelle  naturwissenschaftliche Sprache notwendig für den Umgang mit  naturwissenschaftlichen Phänomenen ist. Als ich das Stipendium bekam,  absolvierte ich das vierte Semester meines Lehramtstudiums und ein Praktikum in  der Escuela Normal, wo ich  außerdem im  naturwissenschaftlichen Club vom „Patio 13“ unterrichtete.
                Ich kam am 5. Oktober  2006 in Heidelberg an. In meinem Kopf hatte ich die inspirierenden Landschaften  einer kleinen und alten Stadt, die meine Lieblingsdichterin, Hilde Domín,  beschrieb, deren Dichtungen ich in Kolumbien bereits gelesen hatte. Ich träumte  auch davon, sie begrüßen zu dürfen.
                Vom Anfang an bis zum  Zeitpunkt meines Abschieds wurde ich mit größter Liebe und Zuneigung von Seiten  der Studenten, Freunden und Professoren behandelt. Seitdem ich in Heidelberg  einzog, wohnte ich in einer anderen Welt, eine Traumwelt, wo ich träumte.
                Die Kontraste zwischen  Gebäuden, zwischen alten und modernen, die grandiose Universitätsbibliothek,  die Chemie- und Biologielabore, die majestätische Burg, Bäume, Plätze,  Fahrräder überall, Museen, Cafés, Flügelklavier, die Menschen aus der ganzen  Welt, die brillanten Professoren und Professorinnen, die Vorlesungen, die  Jahreszeiten, die neuen gelernten Vokabeln, der Ausblick vom Königstuhl aus,  der Weihnachtsmarkt, die kurzen Tage, die Freunde, die Geschichte, die  Wissenschaft, die Rückkehr, die Dichtungen, die ich las, die Neckarwiese, Hilde  Domín, die Feste, Partys, die blaue Stunde, der Duft nach Kaffee, mit dem ich  mich in Kolumbien fühlte, die neue Geschmäcker, die Reisen, die Arbeit im  Projekt „Patio13“, wodurch ich es als eigenes empfand. All das zusammen mit den  atemberaubenden Bildern aus Heidelberg war meine Inspirationsquelle.
                Ich könnte meine zehnmonatige  Erfahrung in Heidelberg mit einer der „Inspirationsstrecken“ auf dem Weg zum  Königstuhl von Hilde Domín vergleichen. Ich konnte mich und die Magie im Herzen  der Dichterin auf derselben Strecke wieder finden. Der Inspirationsweg fing an,  als ich im Haus der Dichterin eintrat und mein Traum sich verwirklichte. Diese  Haustür war wie der Ozean, der Träume und Wahrheit trennte. Die Bäume, „alte  Bekannte“ von Domín, waren in meiner Vorstellung die Freunde, die mich zehn  Monate begleiteten. Die alten Stufen am Rand vom Königstuhl – diese Stufen zum  Himmel – bedeuteten für mich die Ziele und Träume, die man im Inneren trägt.  Die kleinen, gelben Blümchen auf der Strecke, waren die Gedichte, die ich  schrieb. Der kleine, zwischen Bäumen verborgte Turm, war meine Wohnung, namens  „Lise Lotte Haus“, wie die Prinzessin. Die Landschaften und die Intensität der  Farben, die Hilde in ihren Gedichten beschrieb, waren die Intensität der Tage  und der Erfahrungen, welche mein Leben mit Glück füllten.
  Die Tiefe vom Himmel war  für mich mit der Gedankentiefe der deutschen Genien vergleichbar. Dadurch  öffnete sich für mich eine andere Art, die Welt und die Realität des Seins zu  empfinden. Der Vogel, Hauptfigur der Dichtungen von Domín, war ohne Frage mein  Staunen, wodurch ich die Magie der Tage und der einfachen Dinge entdeckte. Die  weise Natur, die das Haus, die Gedanken und das Leben von Domín umgab, war für  mich die Naturwissenschaft, meine treue Freundin. Die frischen langlebigen  Rosen von Domín waren die Wörter die ich lernte, welche meine Gespräche  schmückten. Ihre Rosen sowie die Wörter werden nie im Garten meiner Erinnerung  verwelken. Die Jahreszeiten waren für mich immer wieder eine Überraschung. 
                Die Tomatensuppen,  Minzekekse und Kirschkuchen, welche auch Domín genoss, waren ein Zeichen davon,  was ich probierte, aber auch ein Symbol der kleinen Dinge, die mich glücklich  machten. Die Abende an der Neckarwiese, die Suppen an der Mensa, die  Gummibärchen – immer in meiner Reisetasche, die Spagetti Bolognese von Don  Camilo, die wilde Kirsche, das italienische Eis, Spätzle, Grillabende, die  Konzerte, die Nächte im Rossi´s, das „Hauptstraßenprotokoll“, die „Rückkehr der  Schiffe“, eine Sammlung der Dichtungen von Domín, die ich auch als Geschenk  bekam. Diese „Rückkehr der Schiffe“ war ebenfalls meine eigene Rückkehr  nachhause in Kolumbien, die ich mich vorstellte und vermisste, bevor ich  entdeckte, dass mein Haus die Welt ist.
                Auf der Strecke, die  Vorlesungen an der Uni, waren kleine Welten, mit denen ich mich unterhalten  habe. Aus diesen kleinen Welten lernte ich vieles, was meine Phantasiewelt  verbreitete. Im Deutsch- und Landeskundeunterricht zeigten sich die deutsche  Sprache, Geschichte und Kultur mit ihren Schönheiten und Geheimnissen. Während  dieser Unterrichte lernte ich viele Autoren kennen, von Hölderlin und Goethe  bis Achin, Armin und Domín, die mich getroffen haben. Ich fühlte mich wie die  Hauptdarstellerin der Chronik von Heidelberg mit allem was die Stadt  auszeichnet: die Unterkiefer, das Schloss, die Könige, die Fürsten, die alte  Brücke. Durch die Geschichte der Brezel, der Äpfel und Pferdle, der  Schäferhunde, des Butterbrots verstand ich besser die deutsche Kultur. Es geht  soweit, dass ich mir noch überlege, das deutsche Butterbrot in Kolumbien zu  vermarkten. 
                Die nächste Reise ist in  die DDR, eine historische Reise unseres Landeskundeunterrichts. Dort litt ich  den Schmerz der Trennung und des Kriegs. Aber ich feierte auch den 9. November  1989. Gunter Schabowski war mein Lieblingsdarsteller, und durch die  wunderschönen Szenen von „Good bye Lenin“ und „Das Leben der Anderen“ konnte  ich mich an meine Spaziergänge in Berlin erinnern. Dort, entlang dieser  Spaziergänge in der Geschichte, schenkte ich meiner Erinnerung Bilder, Düfte,  Geräusche und Texturen aller wunderbaren Sachen, denen ich begegnete. 
                In meinen Chemie-,  Biologie-, und Physikseminaren lernte ich auch vieles. Aber eine Sache blieb in  mir: dass die Wissenschaft, egal wo, unter welcher Sonne, in welcher Sprache  auch immer bleibt immer treu. Ich hatte die Chance, hervorragende Lehrer zu  treffen, die meine Motivation zum Lernen förderten, bei deren Veranstaltungen  ich mich wie ein Teil fühlte. Sie sind jetzt ein auch ein Teil meines Herzen.
                Meine Seminare  allgemeiner Pädagogik ermöglichten mir den Zugang zu der puren  Erziehungswissenschaft. Dadurch vertiefte ich in den theoretischen Grundlagen,  die ich bereits aus Kolumbien kannte. Außerdem konnte ich Unterschiede feststellen,  welche für meine eigene Entwicklung und die Planung meiner Unterrichte mit  fundamentierten Argumenten von großer Bedeutung sind.
                In den Psychologie-,  Theologieseminaren, sowie in den Symposien vom Patio13-Projekt konnte ich,  zusammen mit den anderen kolumbianischen und deutschen Austauschstudenten unter  der Betreuung vom Professor Weber, das Verständnis, die Analyse, die  Entwicklung und diesen besonderen Charakter vom Patio13-Projekt vermitteln. Mit  diesen Seminaren und meinem Phonetikunterricht verknüpft ist meine Erinnerung  an „die Bühne“, Treffen aller Stipendiaten der Firma „Baden Württemberg“, wo  ich meine eigene Erfahrung und die Arbeit im Patio13-Projekt für das große  Publikum erzählen durfte.
                Natürlich sind die  besonderen Gerüche in der Fabrik „Heidelberger Druckmaschinen“ in meiner Nase  fest geblieben. Dort erlebte ich nicht nur ein Praktikum zum Drucken, sondern  druckte auch Herr Kollenz edelmütig, dank seiner großen Erfahrung in mein Herz.  Ich werde mich immer an ihn erinnern.
                Ahhh!, und Paris! Das war  ein Geschenk der Zeit. Wie die Jahreszeiten überraschte es mich. Paris nahm  mich besonders in den Arm. Ich fühlte, dass es mich mochte und ich wollte  bleiben, fuhr aber mit dem Geschmack der Champs Elysee zurück, und dem Wunsch  am Roten Platz wieder singen zu können: das französische Lied „Nathalie“, das  ich einmal lernte.
                An den Alpen verstand  ich, dass es nicht nur die Weltspitze gibt, sondern viele Spitzen auf der Welt,  wo wir Menschen das Universum gleichzeitig groß und klein sehen können.
                Als ich wieder am Königstuhl  war, war ich empfindsamer. Diese Sensibilität ist diejenige, die ich nachhause  mitnehme... um die Duft der Bäume wahrzunehmen, die Nuancen vom Himmel, das  Fest der Natur; um die Geschwindigkeit der Minutenzeiger zu berechnen, ohne ihn  zu schauen; um den Unterschied zwischen „natürlich“ und „selbstverständlich“,  „auf jeden Fall so“ und „das ist ganz klar“, aber auch um die Sanftmut der  Blicke zu merken, von denen, die nicht oft lächeln. Um zu verstehen, dass die  Menschen nicht viel mehr als unsere Muttersprache sind, die in uns lebt.
                Meine Herren der Firma  Baden Württemberg, Professor Hartwig Weber, Frau Schön, Frau Professorin  Manuela Welzel und Herr Elmar Breuer, liebe Lehrer, Manfred, liebe Kommilitonen  vom Akademischen Auslandsamt, Frau Althaus, heute möchte ich mich nicht mit dem  üblichen Protokoll verabschieden. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich gleich aber  anders zurückkehre, dass es mich glücklich macht, die erreichten Ziele zu  sehen, und die Absicht, irgendwann nach Deutschland wieder zu kommen. Ich  verabschiede mich nicht, weil ich weiß, dass ich nicht ganz gehe. Wie die Hilde  Domin, mit dem Herzen voll von Dankbarkeit und Glück gesagt hätte:“ bis zum  nächsten Mal!“
                Catalina Baena Gómez
                Heidelberg 2007