News / Patio13-Forschung / Forschungsbericht A.-L. Wiederhold Jan. 2007 
                 
                 
                Tod und Jenseits im Leben  kolumbianischer Straßenkinder. 
                Ein Forschungsprojekt im  Feld der Straße                
                Diese empirisch-qualitative  Untersuchung erforscht, welche Vorstellungen kolumbianische Straßenkinder und  Jugendliche von Tod und Jenseits haben. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, weil  sich der Lebensalltag der Menschen auf ihre religiösen Vorstellungen auswirkt.  Fraglich ist, welche Rolle Religion und Religiosität bei der Bewältigung des  Alltags spielen. Erste Datenerhebungen fanden bereits im Oktober und November  2006 statt.
                Wenn die Entwicklung von  Todes- und Jenseitsvorstellungen von der Lebenssituation der Menschen  beeinflusst ist, muss überprüft werden, inwieweit sich die konkreten  Lebensumstände der Kinder auf ihre alltagsphilosophischen Konzepte auswirken  und welchen Einfluss diese auf die Gestaltung des Alltags nehmen. 
                Straßenkinder sind ständig  und unmittelbar mit dem Tod konfrontiert. Wie wirkt sich diese stete  Todespräsenz auf die Einstellung der Kinder und Jugendlichen zum Leben aus?  Möglich ist, dass der Gedanke an den Tod vollständig verdrängt wird und man sich  ganz auf das Leben im Jetzt konzentriert. Oder ist das Gegenteil der Fall, nämlich  dass Kinder sehr stark auf ein Leben im Jenseits fixiert sind? Denkbar wäre  auch, dass sie den Tod als etwas Alltägliches wahrnehmen oder dass er sogar zu einer  wünschenswerten Perspektive wird. 
                Für die Untersuchung wurde  ein qualitativer Zugang gewählt, der dem sensiblen Thema Tod und den  Bedürfnissen der Untersuchungsgruppe gerecht werden kann. Die Kinder und  Jugendliche fertigten Bilder über ihre Todesvorstellungen an. In einem anschließenden  Gespräch, das die Bilder als Ausgangspunkt nahm, wurden Erfahrungen mit dem Tod,  dessen Deutungen wie auch alltagsphilosophische Konzepte zur Sprache gebracht. Trotz  der Schwierigkeit, auf der Straße Interviews durchzuführen, konnten bisher  insgesamt 13 (elf kurze, zwei lange) Interviews realisiert und etwa 20 Zeichnungen  angefertigt werden. 
                Zurzeit werden die Interviews  und die Bilder analysiert und interpretiert. Da die Untersuchung induktiven  Charakter aufweist, wurden zuvor keine später zu überprüfenden Thesen  aufgestellt. Im Laufe der Datenerhebung und - bearbeitung wird eine Theorie  entwickelt werden.
                Bereits jetzt lassen sich erste  Beobachtungen treffen: Alle interviewten Kinder und Jugendlichen haben  Erfahrungen mit dem Tod gemacht. Dabei handelt es sich zumeist um Gewalterlebnisse.  Viele der Jugendlichen sind durch eine religiöse Sozialisation in der Familie  stark geprägt. Sie verwenden christliche geprägte Begriffe wie Sünde,  Vergebung, Himmel und Hölle. Insbesondere der Seelenglaube ist weit verbreitet. 
                Der Tod wird von einigen als  unvermeidlich angesehen, er kann jeden Menschen zu jeder Zeit treffen. Damit  begründen einige der Jugendlichen ihre fehlende Angst vor dem Tod. Der Tod wird  bisweilen auch positiv gewertet und als eine Art „Ausruhen“ verstanden. 
                Die meisten Straßenkinder  gehen von einer Dualität von Himmel und Hölle aus, wobei sich die Ansichten darüber,  wer in die Hölle und wer in den Himmel kommt, weit auseinander gehen. Einige  Jugendliche neigen zu einer Art Selbstverurteilung und meinen, dass Menschen  wie sie, die Drogen konsumieren, in die Hölle kommen werden. Manche bezeichnen  ihre eigene Wirklichkeit als „Hölle“. 
                In den Bildern und  Interviews kommt eine große Nähe zum Tod zum Ausdruck. Manche haben angesichts  ihrer Erfahrung ein ganz „natürliches“ Verhältnis zu Sterben und Tod  entwickelt. 
                Anna-Lena Wiederhold
                  Studentin im Promotions-Aufbaustudium